Phlichtteil, Testament, Schwerin
1.12.2019
Wertermittlung und Belege

Oberlandesgericht Düsseldorf stellt Rechtsprechung auf den Kopf

In einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22.11.2019 werden dem Pflichtteilsberechtigten Ansprüche zugestanden, die bisher in der Rechtsprechung und auch in der Literatur zu dieser Frage nicht bekannt waren.
Das OLG Düsseldorf meint, dass dem Pflichtteilsberechtigten dann, wenn sich im Nachlass ein Unternehmen befindet ein Anspruch zusteht, der weit über die bisher anerkannten Ansprüche hinaus geht. Bisher stand dem Pflichtteilsberechtigten nach der Rechtsprechung ein Anspruch auf Vorlage der Bilanzen des Unternehmens für die vergangenen drei bis fünf Jahre zu. Dies war bereits eine Ausnahme von der grundsätzlichen Regelung, dass im Rahmen der Auskunft keine Belege vorzulegen sind.

Vorlage von Belegen

Das OLG Düsseldorf meint nun, dass über die Bilanzen hinaus dem Pflichtteilsberechtigten ein Anspruch auf Vorlage sämtlicher Buchhaltungsbelege zustünde, aus denen die Bilanz erstellt wurde.
Dies mag im dort entschiedenen Fall eines kleinen Unternehmens praktisch noch möglich sein. Bei Beteiligung des Erblassers an größeren Unternehmen dürfte dies jedoch rein tatsächlich unmöglich sein.
Darüber hinaus war ein solcher Anspruch bisher auch dem Grunde nach jedenfalls dann nicht zugesprochen, wenn keinerlei Anzeichen dafür bestanden, dass die Bilanz nicht ordnungsgemäß erstellt worden wäre.

Das OLG Düsseldorf geht nun einen anderen Weg und stützt den Anspruch auf Vorlage einzelner Belege nicht auf den bestehenden Auskunftsanspruch, sondern auf den im Gesetz verankerten Wertermittlungsanspruch nach §2314, Abs 1, Satz2 BGB.

Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Köln vom 05.10.2005 (Az.: 2 U 153/04) meint der Senat des OLG Düsseldorf, dass ein Anspruch auf Vorlage auch von Unterlagen, die der Wertermittlung dienen rechtlich geschuldet sei.

Nun verwundert es, wenn ein Sachverständiger bei der Bewertung eines Unternehmens nur dann einzelne Belege sichtet, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, gleichwohl der Senat des OLG Düsseldorf meint

,,sämtliche Geschäftsunterlagen, die erforderlich sind, den Wert eines Unternehmens nach betriebswirtschaftlichen Kenntnissen zu ermitteln‘‘

 seien durch den Erben dem Pflichtteilsberechtigten vorzulegen. Dies seien ausdrücklich im Einzelnen sämtliche den Bilanzen zugrunde liegenden

,,Geschäftsbücher und Belege für den Zeitraum ...‘

welcher im vorliegenden Fall vier Jahre umfasste. Unabhängig von dem wenig konkreten Inhalt des Tenors überrascht vor allem, dass der Senat des OLG Düsseldorf meint, der Pflichtteilsberechtigte benötige mehr Unterlagen zur Wertermittlung als ein Sachverständiger, welcher regelmäßig einzelne Belege nur dann sichtet, wenn sich aus der Bilanz Anhaltspunkte dafür ergeben, dass möglicherweise falsche Buchungen vorgenommen wurden. Dies war im vorliegenden Verfahren jedoch nicht der Fall.

Der Senat des OLG Düsseldorf geht dann noch einen Schritt weiter.

So wird der Wertermittlungsanspruch aus § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nur hinsichtlich der Belegvorlage weit über alles was bisher in Rechtsprechung oder Literatur vertreten wurde ausgedehnt.

Der 7. Senat des OLG Düsseldorf erweitert auch den Wertermittlungsanspruch bezüglich der Vorlage von Gutachten.

In dem entschiedenen Fall befand sich ein Unternehmen im Nachlass. Für dieses Unternehmen legte die Erbin ein Bewertungsgutachten durch einen qualifizierten Sachverständigen vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig war.

Die Pflichtteilsberechtigte forderte gleichwohl ein gesondertes Gutachten für ein im Betrieb befindliches Grundstück, welches bereits im Rahmen der Unternehmensbewertung berücksichtigt wurde.

Damit hat der 7. Senat des OLG Düsseldorf erstmals entschieden, dass dem Pflichtteilsberechtigten bei einem Unternehmen im Nachlass nicht nur ein Anspruch auf Bewertung des Unternehmens als Gesamtheit zusteht, sondern darüber hinaus ein gesonderter Anspruch auf Bewertung einzelner Unternehmensbestandteile bzw. einzelner Gegenstände die sich im Unternehmen befinden.

Der 7. Senat des OLG Düsseldorf schweigt sich allerdings aus, wie dies bei mittleren oder großen Unternehmen tatsächlich umgesetzt werden soll. Hierzu müsste tatsächlich beim Erbfall eines Mitinhabers auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten nach dessen Wünschen jeder einzelne im Unternehmen befindliche Gegenstand durch einen Sachverständigen bewertet werden und das Gutachten dem Pflichtteilsberechtigten zur Verfügung gestellt werden.

Dass auch dies allenfalls in der Theorie des Gerichts, nicht hingegen in der Praxis umsetzbar sein wird, ist offensichtlich. Darüber hinaus würde eine dahingehende Änderung der Rechtsprechung dazu führen, dass bei Unternehmen im Nachlass künftig der Pflichtteilsberechtigte aufgrund viel zu weit reichender Wertermittlungs- und Belegvorlageansprüchen ein faktisches Druckmittel in Händen hielte, welches die Kräfteverhältnisse in der Auseinandersetzung zwischen Erbe und Pflichtteilsberechtigten deutlich verschieben würde zu der bisher in diesem Bereich ergangenen Rechtsprechung.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass der 7. Senat des OLG Düsseldorf den Wertermittlungsanspruch gem. § 1 S. 2 BGB seiner Entscheidung weit über die bisherige Rechtsprechung ausdehnt und weit über die tatsächlich geregelten Grenzen hinaus erstreckt.

Umso bedauerlicher ist dabei die Tatsache, dass der 7. Senat trotz ausdrücklichen Hinweises auf entgegenstehende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte und entgegenstehender Rechtsprechung des BGH, der die Belegvorlage im Rahmen der Auskunftsstufe als Sonderregelung zu einer Belegvorlage im Rahmen des Wertermittlungsanspruchs ausdrücklich beschränkt hat keinen Grund für eine Zulassung der Revision sehen wollte. Die Entscheidung schweigt sich trotz vorgebrachter Revisionsgründe hierzu in der Begründung aus.

Quelle: Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten e.V.

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